Customer Centricity: Der banale Quantensprung

Drei Gründe, warum User Relations so naheliegend wie wichtig sind

„Customer Centricity. Ja was denn sonst?“ Das ist mein erster Gedanke, als Max Viessmann seinen Führungskräften die zukünftigen Erfolgsfaktoren erzählt. Woran sollten sich neue Produkte denn orientieren, wenn nicht an den Bedürfnissen ihrer Nutzer?

Ich hatte nie recht verstanden, warum die Entdeckung des Endkunden im Konzern als großer Game Changer gefeiert wird. Wenn bei einem Autobauer etwa nicht das Tankdeckel-Spaltmaß, sondern der Nutzwert für den Menschen zählt.

Und schließlich: Haben sich erfolgreiche Produkte und Kampagnen nicht immer an Zielgruppen-Insights orientiert? Sind die oft synonym verwendeten Customer / User Centricity eigentlich dasselbe? Und ist das alles bloß die hippere Variante vom ollen „Der Kunde ist König”? Axel Bergander und ich haben dazu drei Thesen entwickelt, die wir gern teilen wollen. Weil sie jeder Arbeit für unsere Kunden einen klaren Fokus geben.

1. User, nicht Kunden – ja, das ist ein Unterschied

Was Aaron Shapiro bereits 2011 in seinem Buch „Users, not Customers” beschrieben hat, gilt für uns unverändert. Wir sehen den Menschen als Nutzer eines Produkts – statt nur als Käufer oder Kunden. Kunden sollen kaufen, Verbraucher verbrauchen. Einen Wert haben beide nur zu dem Zeitpunkt, da die Kasse klingelt.

Den Nutzer zu sehen, ist zunächst eine Frage von Respekt und Verantwortung. Denn: In der Regel wird er Zeit mit dem verbringen, was wir ihm aufgeschwatzt haben. Er soll daher, im Wortsinn, einen Nutzen davon haben. 

Den Nutzen eines Produkts ins Zentrum zu stellen, zeugt zudem von Wertigkeit und Selbstbewusstsein. Wer so denkt, hat den Anspruch zu überzeugen statt zu verramschen. 

Und schließlich ist ein reales Nutzerproblem die beste Grundlage für Marketing und Kommunikation. Nichts ist relevanter, als dem Nutzer mit den richtigen Infos in seiner Journey weiterzuhelfen. Das wird umso wichtiger, da es heute die eine Zielgruppe kaum noch gibt. Stattdessen gilt es, viele verschiedene Nutzerbedürfnisse zu befriedigen.

2. Die User sind mehr – und mächtig

Produkte haben oft nur einen Käufer – aber viel mehr Nutzer. Die neue Heizung im Keller wird vom Haushaltsvorstand gekauft. Aber sie wird von der ganzen Familie genutzt und vom Handwerker gewartet. Sie alle sind User, die Einfluss auf die Markenbeziehung haben.

Relevanter User ist jeder Mensch, den wir mit Kommunikation erreichen können. Und das gilt für physische, geistige und digitale Produkte gleichermaßen. Wenn ich eine Pressemitteilung verschicke, sind meine User zunächst die Journalisten. Es sind aber  genauso die Menschen, die sie erreichen sollen. Launche ich ein neues Tool zur Personalentwicklung, sind meine Nutzer genauso vielfältig. Es sind die Mitarbeiter, die Führungskräfte und das HR-Team, das Bedarfe ermittelt und Maßnahmen entwickelt.

Jeder Nutzer kann ein Produkt zum Scheitern oder zum Erfolg zu bringen, durch Feedback, Support oder Meuterei. Es ist daher heute zwingend notwendig, auf jede Nutzergruppe und ihre Bedürfnisse einzugehen. Und zwar idealerweise entlang der kompletten User Journey.

3. User Relations sind, was Marken heute langfristig erfolgreich macht

1,4 mal in seinem Leben kauft ein Eigenheimbesitzer eine neue Heizung. Die erste installiert er beim Bau oder Kauf des Hauses. Die zweite muss her, wenn die erste nach rund 25 Jahre kaputt geht. Der Zeitpunkt des Kaufs spielt natürlich weiter eine große Rolle, gerade bei Produkten mit langer Lebensdauer.

Aber die für die Markenbeziehung prägenden Momente passieren später. Die Freude, wenn es zum ersten Mal warm wird. Die Ratlosigkeit, den Urlaubsmodus einzustellen. Der Ärger, wenn die Anlage ausgerechnet Heiligabend ausfällt. Es sind genau diese Situationen, in denen eine Marke halten muss, was sie verspricht. In denen eine Beziehung entsteht, gestärkt oder verspielt wird.

Wer den Nutzer im Blick hat, kann die Menschen über die komplette User Journey begleiten. Und zwar nicht nur kommunikativ, durch Post-CRM. Die größten Chancen liegen im Produkt.

„Comes with an app” wird der Normalzustand und zur ständigen Schnittstelle zwischen Marke und User. Durch regelmäßige Updates und neue Features stellt sich, siehe Tesla, regelmäßig ein „Neugefühl” ein. Relevanter Content wirkt dabei als verstärkendes, weiches Bindungsinstrument. Er regt etwa an, die Heizung mit einer Solaranlage zu kombinieren, um auch das Elektroauto mit Energie zu versorgen.Bei Viessmann haben Axel und ich substanziell dazu beigetragen, dass der Nutzer absoluten Fokus erhält. Denn auch wenn dieses Konzept für uns Berater, Strategen und Kreative naheliegend erscheint. Es bedarf vieler Wiederholungen, bis jeder Mitarbeiter und Partner verinnerlicht hat: „User Centricity. Ja was denn sonst.”